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Die Re-Politisierung der Wirtschaft

Die Re-Politisierung der Wirtschaft

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde das aus zwei feindlichen Blöcken: dem der Sowjetunion und dem der Vereinigten Staaten (USA), bestehende internationale System durch ein neues ersetzt. Dieses wird als Regelbasierte Internationale Ordnung (RBIO) bezeichnet und basiert im Wesentlichen auf Freihandel, einem Verbot von gewaltsamen Grenzverschiebungen und dem großen Einfluss von multilateralen Institutionen wie der WTO, UN, Weltbank und NATO. In diesem System garantieren die Vereinigten Staaten als einzig verbliebene Supermacht das von ihnen erschaffene System und die Sicherheit der Handelsschifffahrt. Wirtschaftlich war diese Zeit, ab dem Beginn der 1990er, geprägt von großen Wohlstandsgewinnen, aber auch einer internationalen Neuverteilung des Wohlstandes. Durch die neu entstandene Freiheit fast überall auf der Welt Geschäfte machen zu können und der relativ hohen Sicherheit von Investitionen auch außerhalb des eigenen Landes, etablierte sich die Globalisierung mit Produktions- und Lieferketten über den gesamten Globus. Diese globale Neuverteilung ermöglichte große Effizienz-gewinne, durch die Verlagerung von Produktionsschritten in Länder, wo diese durch Arbeitsteilung und größere Spezialisierung am günstigsten waren. Möglich wurde dies allerdings nur durch minimale politische Einmischung in diese wirtschaftlichen Kreisläufe. 

Die RBIO und die damit einhergehende Globalisierung ist in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten, wobei politische Konfrontationen, allgemeine Krisen und stärkere Einmischung von Staaten in die Wirtschaft die wichtigsten Faktoren bilden.

Eine genaue Datierung des Beginns dieser Entwicklungen ist stark umstritten aber auch nicht unbedingt notwendig. Wobei spätestens nach 2018 von einer sich fundamental ändernden politischen und wirtschaftlichen Landschaft, im Vergleich zur vorherigen RBIO, ausgegangen werden kann. Als einer der ersten Schritte in die Richtung einer Neuordnung des politischen und wirtschaftlichen Systems ist der von Donald Trump 2018 begonnene „Handelskrieg“ mit China zu sehen. Bei diesem „Handelskrieg“ wurden von den beiden Ländern auf die gegenseitigen Importprodukte zunehmend Zölle erhoben (Einfuhrzölle auf gegenseitige Importe: 2018: 3% USA und 7% China à 2020: 20% USA und 21% China, seitdem stabil). Diese politische Konfrontation, um den Rivalen zu schwächen, stellte einen fundamentalen Bruch mit den Freihandelsprinzipien, der Praxis von gemäßigten Eingriffen in internationale Märkte und dem Glauben an Wandel durch Handel dar. Die Coronakrise beginnend im Jahr 2020 war ein weiterer Schock für die Globalisierung und die RBIO. Innerhalb kürzester Zeit gerieten durch weltweite Shutdowns globale Lieferketten ins Stocken und sorgten für weitreichende Produktionsverzögerungen, Lieferprobleme, starke steigende Kosten und Preise.  Die bekanntesten Beispiele für diese Probleme in Deutschland waren ein Mangel an Chips für Elektronikprodukte und die daraus resultierenden Produktionsverzögerungen in der Automobilindustrie. Hierdurch geriet auch das Konzept der „Just-in-Time“ Produktion (also einer Minimierung von Lagerbeständen und Lieferungen von Produktbestandteilen erst kurz vor der Weiterverarbeitung) unter Druck und führte vielen Unternehmen die Fragilität von Produktionsketten, die über zahlreiche nationale Grenzen reichten, vor Augen. Ein weiterer Indikator für den zunehmenden Druck auf die RBIO ist die dramatische Zunahme der Anzahl und Intensität politischer Konflikte und Kriege. Die Ausweitung der Invasion der Ukraine im Frühjahr 2022, von einem begrenzten Konflikt/Krieg um die Krim, hin zu einem großflächigen Krieg um das gesamte Land, ist ein Beispiel. Ein weiteres, die eskalierenden Spannungen zwischen China und Taiwan und um das Südchinesische Meer generell. Aber auch lokal begrenztere Konflikte wie der zwischen Armenien und Aserbaidschan und das Wiederaufflammen von Piraterie um das Horn von Afrika gehören in diese Reihe. Alle Konflikte basieren auf eigenen speziellen Umständen, aber die Intensität und Anzahl der Dispute, wie auch ihre Änderung von fast ausschließlich Bürgerkriegen hin zu Konflikten und Kriegen zwischen Staaten, zeigen die nachlassende Stabilität der RBIO.

Ein letzter Punkt, der die Tendenz zu nachlassendem Freihandel zeigt, ist der zunehmende Einfluss von Industriesubventionen, mit denen mehr und mehr Länder versuchen, mit Steuergeldern Unternehmensansiedelungen in ihrem jeweiligen Territorium zu erreichen. Dies verstößt gegen die freie Konkurrenz auf dem Weltmarkt und zwingt im Gegenzug andere Länder dazu ebenfalls Subventionen anzubieten, falls diese nicht Unternehmen und Wettbewerbsfähigkeit verlieren wollen (Gesamtsubventionen der US-Regierung: 2018: 251 Milliarden; 2022: 507 Milliarden).  

Die Ergebnisse dieser Veränderung sind noch offen und können erst in der historischen Rückschau vollständig bewertet werden, jedoch zeichnen sich erste Entwick-lungen bereits ab. Die auf Freihandel fokussierte Politik der letzten Jahrzehnte hat versucht die Wirtschaft weitestgehend von politischen Einschränkungen zu entkoppeln. Dieses Verhältnis von Politik und Wirtschaft wird durch die zunehmende Relevanz der Politik verändert und macht es für die Wirtschaft unabdingbar, politische Entwicklungen stärker in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen. Außerdem ist ersichtlich, dass größere Unsicherheiten in globalen Lieferketten entstanden oder offenkundig geworden sind, worauf Länder und Unternehmen unter anderem mit „Friendshoring“ reagieren. Mit dem Versuch Lieferketten und Unter-nehmen in das eigene Land oder zumindest in den Einflussbereich von Verbündeten zu verschieben. Trotz der dadurch steigenden Preise bewerten viele Unternehmen die damit gewonnene Sicherheit vor politischen und Umwelt bedingten Krisen höher. Beispielhaft für diese Entwicklung ist der Konflikt mit China, mit dem Versuch vieler „westlicher“ Unternehmen ihre Produktion in Länder wie Indien oder Vietnam zu verlegen, welche ähnlich gute Bedingungen bieten, jedoch nicht in einer politischen Konfrontation mit dem „Westen“ stehen. Apple produziert beispielsweise das IPhone 15 erstmals unter anderem in Indien, hat seit 2017 den Wert der Produktion in Indien von 0 auf 7 Milliarden Dollar gesteigert und Pläne angekündigt, diese auf über 40 Milliarden in den nächsten 5 Jahren erhöhen zu wollen.  

Diese Entwicklungen reichen weit über die Wirtschaft hinaus, sind aber in ihr besonders einflussreich und dementsprechend für Unternehmen besonders wichtig. Was können Unternehmen – und wir als Unternehmensberaterinnen und -berater – daraus lernen und stärker versuchen zu berücksichtigen? Die zunehmende Volatilität und Unsicherheit stellt ein besseres Risikomanagement in den Vordergrund, insbesondere für Firmen mit inter-nationalen Handelsketten, aber auch für rein national agierende Unternehmen da sich instabilere internationale Bedingungen oft auch auf die nationale Wirtschaft auswirken. Eine dabei besonders wichtige Maßnahme ist die Diversifizierung der eigenen Produktionsstandorte und Lieferanten. Ebenfalls relevant erscheint im Rahmen der größer werdenden Wichtigkeit von internationaler Politik der verstärkte Einbezug von großen politischen Entwicklungen in die strategische Planung, wobei Beraterinnen und Berater, die auf dieses Thema fokussiert sind, aufgrund ihres Knowhows wichtige Wettbewerbsvorteile für sich und ihre Kundinnen und Kunden schaffen können. Außerdem erscheint ein stärkerer Fokus auf Corporate Governance und Compliance sinnvoll, da sie eine proaktive Anpassung an neue Regularien ermöglichen und das Vertrauen in das Unternehmen und seine Zukunftsplanung stärken können. Abschließend können Beraterinnen und Berater den Unternehmen, für die sie arbeiten eine Stärkung der Resistenz gegen Krisen empfehlen und sie gemeinsam mit dem Unternehmen entwickeln. Dies beinhaltet insbesondere die Entwicklung und Implementierung von Notfallplänen, aber auch den Aufbau von zusätzlichen Kapazitäten und Lagerbeständen, wodurch ein agileres Handeln ermöglicht werden soll. Indem Unternehmensberaterinnen und -berater diese Handlungsempfehlungen geben und ihre Kundinnen und Kunden zur Umsetzung anhalten, können sie diese dabei unterstützen sich erfolgreich an die neuen Herausforderungen anzupassen und vorrausschauend erfolgreich in einer zunehmend unvorhersehbaren Welt zu agieren.   

Verfasser/in: Mark Bertram

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